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1. Was ist Polyneuropathie?
Laut der Definition ist eine Polyneuropathie eine systemische Schädigung der Nervenenden. Durch verschiedene Ursachen kommt es zu der Beeinträchtigung der motorischen und sensiblen Neuronen, welche für die Sensorik und die Bewegung zuständig sind.
Bei den peripheren Nerven handelt es sich um Zellstränge aus neuronalem Gewebe. Ein Neuron, also eine Nervenzelle, besteht aus einem sternförmigen Zellkörper mit Dendriten sowie einem langen Schwanz, den man den Axon nennt. Die Nervenzellen, welche aneinander gereiht sind, bilden die Leitung für elektrische Impulse. Diese elektrischen Impulse sind Befehle aus dem zentralen Nervensystem, welche Informationen an Organe und Systeme senden. Durch diese Informationen ist es möglich, Stoffwechselprozesse und Organfunktionen aufrechtzuerhalten oder Bewegungen auszuführen. Tritt ein Reiz aus der Umgebung auf, ist die Leitung umgekehrt und wird aus der Körperperipherie zum zentralen Nervensystem geleitet und im Gehirn oder Rückenmark verarbeitet. Die Überleitung durch die Axonen ist elektrisch, während die Verbindung zwischen Axon und Dendrit chemisch stattfindet.
Ein einwandfrei funktionierendes System ist von höchster Bedeutung, um richtige Informationen weiterzuleiten und Befehle auszuführen. Bei einer Polyneuropathie sind diese Prozesse gestört. Durch die Schädigung der Neuronen werden Informationen teilweise fehlgeleitet oder gehen im Gewebe verloren, wenn die Myelinscheide des Axons geschädigt ist. Eine Myelinscheide ist eine Ummantelung des Axons mit einer Eiweißhülle, welche die Impulse isoliert und die elektrische Leitung ermöglicht. Ist der Schutz beschädigt, kann die Nervenzelle zwar Informationen über die Dendriten empfangen, aber nicht an die nächste Nervenzelle weitergeben.
Durch diese Schädigung kommt es zu zwei übergeordneten Problemen:
- Befehle aus dem ZNS (Zentralen Nervensystem) werden falsch oder gar nicht ausgeführt, was zu Bewegungsstörungen, Fehlfunktionen der Organe und Muskeldystrophie führt.
- Informationen aus der Umwelt und der Körperperipherie werden nicht mehr korrekt an das ZNS gesendet, so dass es zu Missempfindungen kommt und ebenso Reflexe ausfallen können.
Die Polyneuropathie kann sowohl symmetrisch (zum Beispiel beide Hände, beide Füße), als auch asymmetrisch ausfallen und wird in verschiedene Arten eingeteilt:
- Sensible: Betroffen ist vor allem die Sensibilität, also die Empfindung der Haut.
- Sensomotorische: Es liegen Einschränkungen sowohl im Bereich der Sensorik, als auch im motorischen Bereich vor.
- Motorische: Durch die Polyneuropathie ist vor allem die Bewegung eingeschränkt, diese Form geht häufig mit einem Muskelabbau einher.
- Autonome: Hier sind unterschiedliche Bereiche der Organsysteme betroffen, ebenso können sowohl Motorik, als auch Sensorik zusätzlich eingeschränkt sein.
2. Welche Ursachen hat Polyneuropathie?
Eine Polyneuropathie kann aus vielen verschiedenen Gründen auftreten, aktuell sind rund 200 Auslöser in der Medizin bekannt. Eine der häufigsten Ursachen ist die Schädigung der Nerven durch Diabetes Mellitus. Verantwortlich kann Diabetes Typ I oder Typ II sein. Man spricht von einer diabetischen Polyneuropathie. Ein weiterer verbreiteter Grund für den Ausbruch der Erkrankung ist ein übermäßiger Gebrauch von Alkohol – hier spricht man von einer alkoholischen Polyneuropathie.
Bei der Vorerkrankung mit Diabetes kommt es sehr häufig zu einer Schädigung der Nerven durch den erhöhten Blutzucker. Vor allem, wenn die Werte nicht gut eingestellt sind, ist eine Polyneuropathie als Folge sehr wahrscheinlich. Rund 50 % aller Patienten mit Diabetes Mellitus entwickeln im Laufe des Lebens die Krankheit. Eine diabetische Polyneuropathie wird durch zwei Faktoren bedingt. Neben der Schädigung der Nervenenden durch den Blutzucker werden auch kleinste Gefäße in den peripheren Körperregionen angegriffen und in ihrer Funktion eingeschränkt. Dadurch verschlechtert sich die Blutversorgung der Gebiete deutlich und die Nervenenden werden zusätzlich belastet. Die unterversorgten Nerven können im Laufe der Zeit absterben, was eine Reversibilität der Schädigung ausschließt.
Bei der alkoholischen Polyneuropathie steht der Alkohol im Verdacht, die Nerven direkt anzugreifen. Wie genau der Prozess stattfindet, ist nicht restlos geklärt. Neben der direkten Schädigung durch den Alkohol spielt auch eine beim Alkoholismus oft vorhandene Mangelernährung eine Rolle. Vitaminmangel, vor allem ein Vitamin B12 Mangel wirkt sich auf das Nervensystem negativ aus. Der Mangel kann im Übrigen auch ohne einen Zusammenhang mit Alkoholabusus zur Erkrankung führen.
Weitere Ursachen:
- Infektionen (unter anderem HIV, Pfeiffersches Drüsenfieber)
- Vergiftungen
- Medikamente
- Krebserkrankungen
- Erkrankungen der Nieren, Leber und Schilddrüse
- Gicht
- Vitaminmangel und Spurenelementenmangel (B 12, E, Kupfer, )
- Autoimmunreaktion
- Vaskulitis
- Vererbung (selten)
In rund 20% aller Fälle ist die Ursache idiopathisch, also ungeklärt.
3. Welche Symptome & Anzeichen sprechen für eine Polyneuropathie?
Die Symptomatik der Polyneuropathie fällt unterschiedlich aus und ist davon abhängig, welche Bereiche durch die Zerstörung der Nerven betroffen sind. Am häufigsten sind periphere Enden der Nervenbahnen in Händen und Füßen geschädigt, was zum einen zu Missempfindungen wie Kribbeln, Taubheit und Schmerzen führt. Im Laufe der Zeit und bei schwereren Verläufen kann die Sensorik stellenweise komplett erlischen, dem Patienten ist es nicht mehr möglich, Berührungen, Reizungen und thermische Einwirkungen auf manchen Hautarealen zu spüren.
Bei einer Beteiligung der motorischen Neuronen kann auch die Bewegung eingeschränkt sein.
Die Warnzeichen bei einer Polyneuropathie sind Leitsymptome der Erkrankung:
- Kribbeln
- Brennen
- Missempfindungen
- Sensibilitätsstörung
Weitere Symptome können folgende sein:
- Kraftabbau
- Schmerzen
- Parästhesien
- Gestörte Feinmotorik
- Muskelabbau
- Abbau der Reflexe (zum Beispiel der Achillessehnenreflex) [1]
Bei einer Beteiligung der inneren Organe kann es ebenso zu Störungen des Metabolismus kommen. Patienten können übermäßig schwitzen (alkoholische Polyneuropathie) oder zu wenig schwitzen (diabetische Polyneuropathie), es kann zu Durchfällen, Magenschmerzen, Schwindel, Herzrasen und Darmproblemen kommen.
4. Wie diagnostiziert man eine Polyneuropathie?
Die Diagnostik wird in unterschiedlichen Tests vorgenommen.
Anamnese
Ein Anamnesegespräch mit einem Arzt, zum Beispiel einem Neurologen soll Ursachen, Symptome und andere Faktoren eingrenzen. Der Patient wird nach dem körperlichen Befinden und vor allem der Sensibilität befragt, ebenso wird die Krankheitsgeschichte des Betroffenen untersucht.
Vorerkrankungen wie Krebs, Alkoholabhängigkeit, Diabetes oder Infektionen können Hinweise liefern, die zu einer sinnvollen Eingrenzung beitragen. Ebenso wird die familiäre Historie in Bezug auf die Vererbung untersucht. Auch die Ernährung spielt eine Rolle, Polyneuropathie durch Ernährungsmängel tritt beispielweise gehäuft bei Veganern auf.
Bluttests
Mit einem großen Blutbild sollen Entzündungszeichen sowie Mängel der Vitamine und Spurenelemente untersucht werden. Viele Patienten weisen Mängel im Vitamin B Komplex auf.
Neurologische Untersuchung
Eine Lumbalpunktion ist ein wichtiges Verfahren in der Diagnostik. Dabei wird die Flüssigkeit aus dem Rückenmark entnommen und auf Entzündungszeichen untersucht.
Mit einer Elektroneurographie und einer Elektromyographie soll die Reizverarbeitung und Weiterleitung der elektrischen Signale durch die Nerven gemessen werden. Bei verletzten, entzündeten oder zerstörten peripheren Nerven erfolgt diese Weiterleitung unpräzise, langsamer, fehlerhaft oder fällt teilweise aus, wenn viele Nervenenden beschädigt sind.
Biopsie
Bei einer Gewebeentnahme werden die peripheren Nerven auf ihren Zustand geprüft. Verletzte, entzündete und abgestorbene Nerven sprechen für eine Polyneuropathie. [2]
5. Wie ist der typische Krankheitsverlauf?
Je nach Ursache ist der Verlauf sehr unterschiedlich. Die Symptomatik kann durch die Behandlung der Ursache gemindert werden. Die Krankheit kann in jedem Alter ausbrechen, im steigenden Alter erhöht sich die Wahrscheinlichkeit. Sie ist nicht in jedem Fall heilbar, häufig manifestiert sich die Symptomatik und besteht ein Leben lang. Sie ist in der Regel nicht letal. Von einer heilbaren Polyneuropathie spricht man, wenn mit der Behandlung der Ursache auch die Symptomatik zurückgeht, dies kann aber nicht garantiert werden und eine Prognose ist schwer zu stellen.
Der Beginn ist in der Regel schleichend, dezente Symptome wie häufiges „Einschlafen“ der Gliedmaße, ein kribbeliges Gefühl, Taubheit oder unerklärbare Schmerzen, die in den Händen oder Füßen auftreten, begleiten den Prozess. Je nach Ursache und dem Einsatz der Behandlung werden Symptome gravierender. Der schleichende Prozess ist durch die meist langsame, zunehmende Beeinträchtigung der Nervenenden bedingt. Zerstörte Nerven können in der Regel nicht neu gebildet werden, ein aktives Training kann aber dazu führen, dass andere Nerven die geforderten Aufgaben übernehmen.
Die Polyneuropathie kann sowohl progredient, also langsam ansteigend, als auch schubförmig verlaufen.
6. Welche Behandlungsmethoden bzw. Therapien gibt es?
Eine Polyneuropathie wird sowohl ursächlich, als auch symptomatisch behandelt. Ist der Ausbruch der Erkrankung durch andere Indikationen wie Mängel, Infektionen, Diabetes oder Alkoholabusus bedingt, so sollten diese Probleme erstrangig behandelt werden, um die Ausbreitung einzudämmen.
6.1 Schulmedizin
Der wichtigste Behandlungspunkt ist symptomatisch und dient vor allem der Schmerzreduktion. Eine Schmerztherapie soll vor allem die Lebensqualität steigern. Diese Therapie wird in Form von Medikamenten vorgenommen. Auch Entzündungshemmer können eine Rolle spielen, um das Voranschreiten der Zerstörung von Nerven zu reduzieren. Problematisch bei der Behandlung der verursachten Schmerzen ist die Tatsache, dass reguläre Analgetika wie Ibuprofen, Paracetamol oder ASS in der Regel keine Wirkung zeigen.
Folgende Medikamente gelten als wirkungsvoll:
- Gabapentin
- Pregabalin
- Amitriptylin
- Nortriptylin
Alle diese Medikamente sind verschreibungspflichtig und ausschließlich nach ärztlicher Anweisung einzunehmen.
6.2 Naturheilkunde
Auch bei Naturheilverfahren ist die Behandlung stark von der Ursache abhängig. Eine häufig angewandte und sinnvolle Methode ist die Einnahme von verschiedenen Vitaminkomplexen, um die Nerven optimal zu versorgen. Vor allem Vitaminkomplexe B und E sollten ausreichend vorhanden sein. Neben den Vitaminen, welche sowohl über die Ernährung, als auch über Multivitaminpräparate eingenommen werden können, sollte man auch auf einen gesunden Haushalt der Spurenelemente achten. [3]
Ebenso empfehlenswert ist die Anwendung von CBD Produkte. CBD (Cannabidiol) ist ein nicht psychoaktiver Wirkstoff aus der Nutzhanf, welcher v.a. durch seine entzündungshemmende und entkrampfende Wirkung Bekanntheit erlangt hat.
6.3 Alternative Therapieformen
Es gibt zahlreiche alternativmedizinische Verfahren, welche den Verlauf der Erkrankung lindern sollen. Dazu gehören unter anderem Homöopathie, traditionelle chinesische Medizin sowie Bioresonanztherapie. Auch wird Hypnose im Zusammenhang mit der Erkrankung angewendet. Auch hier ist die Abhängigkeit von der Ursache wichtig, da sowohl die Grunderkrankung, als auch die Polyneuropathie behandelt werden. Häufig werden sowohl alternativmedizinische, als auch schulmedizinische Verfahren in einer Kombination angewandt.
6.4 Ergotherapie
Die Ergotherapie spielt eine große Rolle bei der Behandlung. In der meist sensomotorisch-perzeptiven Therapie werden Maßnahmen zur Steigerung der Sensibilität, Verbesserung der Feinmotorik, dem Aufbau bzw. Erhalt der Kraft sowie einer Schmerzreduktion vorgenommen. Ein Sensibilitätstraining soll die taktilen Funktionen verbessern und die Parästhesien reduzieren. Beliebt sind unter anderen thermischen Behandlungen, wie zum Beispiel Paraffin, Körperbäder oder Kryobehandlungen. Sowohl Wärme, als auch Kälte können sich positiv auf den Verlauf der Erkrankung auswirken und Schmerzen reduzieren.
6.5 Physiotherapie
In der physiotherapeutischen Behandlung wird vor allem die Muskelkraft, physiologische Bewegung und Durchblutung des Patienten gefördert. Durch Verfahren wie Krankengymnastik, Massage, Triggerpunktbehandlung, Manuelle Therapie und Fascienbehandlung werden verschiedenste Prozesse und Abläufe des Bewegungsapparates optimiert. Eine verbesserte Durchblutung soll dazu beitragen, dass die Nervenenden besser versorgt werden und weniger durch das Absterben des Nervengewebes beeinträchtigt sind.
6.6 Psychiatrische Begleitung
In einigen Fällen führen dauerhafte Schmerzen und Missempfindungen zu einer Beeinträchtigung der Psyche. Die Belastung kann zu Schlafstörungen, depressiven Verstimmungen, Leistungseinbruch und Medikamentenmissbrauch führen. Fühlt man sich als Patient unsicher, sollte eine therapeutische Begleitung erfolgen. Häufig können zusätzliche therapeutische Maßnahmen wie Entspannungstechniken oder Selbsthilfegruppen Abhilfe schaffen.
7. Gibt es Hausmittel für eine Polyneuropathie?
Es gibt keine Hausmittel, die bei einer Polyneuropathie helfen. Nerven sind sehr schwer zu beeinflussen und die unterstützende Behandlung kann lediglich symptomatisch erfolgen. Der Patient kann durch die Ernährung das Fortschreiten aufhalten, beispielweise durch niedrigzuhaltenden Blutzucker oder Verzicht auf Alkohol.
8. Wie kann man Polyneuropathie vorbeugen?
Einer Polyneuropathie kann nicht immer vorgebeugt werden, aber die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs der Erkrankung kann deutlich reduziert werden. Regelmäßige Gesundheitschecks, eine gesunde, ausgewogene und vitaminreiche Ernährung sowie Behandlung von bestehenden Erkrankungen tragen dazu bei, dass das Risiko reduziert wird. Vor allem sollte der Umgang mit Alkohol bewusst und gemäßigt sein.
Quellenverzeichnis:
- http://aktive-ergotherapie.de/krankheitsbilder/missempfindungen-polyneuropathie/
- https://www.aerzteblatt.de/archiv/209628/Polyneuropathien-Wenn-Medikamente-neurotoxisch-sind
- https://natura-heilpraxis.de/polyneuropathie/